Abbé Charles Balley von Dom Antoine Marie osb

 

Abbé Charles Balley wäre wahrscheinlich der Vergessenheit anheimgefallen, hätte die Vorsehung nicht dafür gesorgt, dass er auf seinem Lebensweg einem jungen Bauern aus der Gegend von Lyon begegnete, der dank seiner übernatürlichen Gottergebenheit zum heiligen Pfarrer von Ars wurde. Als brillantem Regular-kleriker aus der Kongregation der hl. Genoveva war dem Abbé mehrfach ein Lehrstuhl für Moraltheologie am Großen Seminar von Lyon angeboten worden. Doch diesem begehrten Posten hat er demütig das Amt eines einfachen Gemeindepfarrers vorgezogen, in dem er völlig aufging. Die Früchte seine Arbeit übertrafen alle Erwartungen.

Seine Eltern, Antoine Balley und Jeanne Laurent, stammten aus dem Lyoner Bürgertum. Ihr Heim zählte bereits 9 Söhne und 6 Töchter, als Charles am 30. September 1751 zur Welt kam und gleich am folgenden Tag getauft wurde. Die glaubensfeste Familie ließ sich nicht von den religionsfeindlichen Strömungen beeinflussen, von denen das französische Bürgertum damals bereits infiziert war. Die Sonntagsmesse, die Beichte sowie die Erstkommunion wurden stets sorgfältig vorbereitet; der feste christliche Boden, auf dem die Kinder aufwuchsen, brachte mehrere Berufungen hervor. Zwei Töchter schlossen sich den Annunziatinnen an, ein Sohn wurde Kartäusermönch, zwei weitere Söhne Regularkleriker der hl. Genoveva. Antoine Balley lebte seinen Kindern eine positive Arbeitshaltung vor. Charles erbte von ihm seine Ordnungsliebe, seine Urteilskraft und Menschenkenntnis sowie seine Entscheidungsstärke angesichts unvorhergesehener Situtationen.

Charles war noch keine 16 Jahre alt, als er der mönchlichen Profess seines Bruders in der Kongregation der hl. Genoveva beiwohnte. Zwei Monate danach trat er selber in das Noviziat der nach der Regel des hl. Augustinus lebenden Kongregation ein; das gerade in einem Reformprozess befindliche Institut zählte damals über tausend Mönche. Die meisten lebten in Konventen, andere verstreut in den Pfarreien verschiedener Diözesen. Hauptbestimmung der Kongregation war der Dienst im Pfarramt: die Verkündigung von Gottes Wort, die Krankenpflege (mit Schwerpunkt auf Arme und Benachteiligte), die sorgsame Verwaltung der Sakramente, die religiöse Unterweisung einfacher Leute, die Katechese für Kinder sowie die Feier der Liturgie. Etwa ein Jahr nach dem Tode seines Vaters legte Charles 1768 seine Gelübde ab und setzte seine Ausbildung in verschiedenen Häusern des Ordens fort. Anschließend wurde er zum Präfekten im Seminar der Abtei Ham in der Picardie ernannt und dort kurz nach dem Tode seiner Mutter mit 24 Jahren zum Priester geweiht.

Choue

Nach seiner Priesterweihe betreute Abbé Balley noch zwei Jahre lang die jungen Seminaristen in Ham. Da er feststellen musste, dass die angehenden Priester mehr an einer Karriere denn am Dienst Gottes interessiert zu sein schienen, versuchte er sie mit Fingerspitzengefühl und aller Entschiedenheit zur Frömmigkeit, zum Theologiestudium und zur Regeltreue anzuhalten, befürchtete jedoch, vor tauben Ohren zu predigen. Am 1. September 1779 wurde er an das Priorat Saint-Irénée nach Lyon berufen, wo er zunächst als Novizenmeister, später als Pfarrvikar wirkte. 1784 übernahm er voller Begeisterung das Pfarramt des Dorfes Choue in der Nähe von Blois an der Loire. Die Dorfbewohner zeigten zwar mehr Interesse für den Aberglauben als für die Restaurierung ihrer vom Verfall bedrohten Kirche, doch der Pfarrer konnte sich auf die Mitwirkung eines Vikars stützen, der bereits seit 7 Jahren vor Ort war. Gleich im Frühjahr 1785 rief er die Honoratioren des Dorfes zu einer Gemeindeversammlung zusammen und überredete sie, die Restaurierung der Kirche in Angriff zu nehmen. Nach einer Bestandsaufnahme in der Sakristei bekam er auch einen Zuschuss bewilligt, um die verschlissenen Ornate zu erneuern. Der Gottesdienst wurde bald spürbar würdiger. Daneben führte Abbé Balley einen erbitterten Krieg gegen die allgemeine religiöse Unwissenheit und nahm sich sogar der Elementarbildung seiner Schäfchen an, indem er auch als Grundschullehrer wirkte. Seine Nächstenliebe kam in besonderer Weise im strengen Winter 1788-89 zum Tragen, als er zusammen mit dem Schlossherrn des Dorfes die Lebensmittelversorgung der Ärmsten organisierte.

Doch schon bald breiteten sich die Wirren der Französischen Revolution im ganzen Reich aus. Im Februar 1790 verbot die verfassunggebende Versammlung die Ordensgelübde und schaffte die religiösen Orden ab; am 12. Juli verabschiedete sie die Zivilkonstitution des Klerus, die die Schaffung einer der politischen Macht unterworfenen und vom Papst getrennten Nationalkirche zum Ziel hatte. Bischöfe und Pfarrer mussten „der Nation, dem Gesetz und dem König“ einen Treueeid schwören. Wer sich weigerte, galt als abgedankt. Etwas mehr als ein Drittel der Pfarrer aus dem Bezirk, in dem sich die Pfarrgemeinde Choue befand, verweigerte den schismatischen Eid. Abbé Balley gab folgende Erklärung ab: „Ich, der unterzeichnende Pfarrer der Gemeinde Saint-Clément in Choue, erkläre, dass mein Gewissen es mir nicht gestattet, den Eid auf die Verfassung ohne Einschränkung zu leisten. Um mich dem Dekret der Nationalversammlung vom 27. November zu fügen, schwöre ich aber, soweit es mir meine Religion erlaubt, über die Gläubigen meiner Pfarrei zu wachen, die Gott mir durch das Amt meines Bischofs anvertraut hat; der Nation, dem Gesetz und dem König sowie der von der Nationalversammlung verabschiedeten und vom König gebilligten Konstitution treu zu sein in allem, was das Zivile und Zeitliche betrifft, sowie in allem, was nicht gegen mein Gewissen verstößt – ich nehme jedoch davon formell alles aus, was das Geistliche angeht, denn darüber darf nur die Kirche befinden.“

Die rechtmäßigen Pfarrer

Der Bischof von Blois, Msgr. de Thémines, verweigerte den Eid und wurde ins Exil geschickt. Abbé Balley lehnte es ab, dessen willfährigen Nachfolger im Amt des Bischofs anzuerkennen; bevor er selbst verbannt wurde, erklärte er seiner Gemeinde, inwiefern die Zivilkonstitution des Klerus schismatisch sei: „Gemäß der Worte des Evangeliums und der von der Kirche von Anbeginn ihrer Einsetzung durch unseren Herrn Jesus Christus an stetig gelehrten Doktrin kann es keine rechtmäßigen Pfarrer in der Kirche geben als die, die ihre Mission von Jesus Christus selbst erhalten haben; diese wird ihnen durch das Amt des rechtmäßigen Bischofs übermittelt, d.h. des Bischofs, der (vom Papst) selbst eine echte kanonische Mission empfangen hat. Folglich ist immer derjenige der wahre Pfarrer, der kanonisch eingesetzt worden ist, und die Gläubigen seiner Pfarrgemeinde sind in ihrem Gewissen verpflichtet, ihn als ihren rechtmäßigen Pfarrer zu betrachten und keinerlei Verbindung zu dem Geistlichen zu unterhalten, den die Herren Wähler an seiner Stelle ernannt haben.“ Da sein Nachfolger nicht autorisiert sei, Sünden zu vergeben, würden sich alle, die von diesem Pfarrer die Sakramente empfangen, an der Kirchenspaltung beteiligen.

Die Gemeinde war bald zweigeteilt zwischen denen, die treu zu Abbé Balley hielten, und den Anhängern des zu seinem Nachfolger ernannten regimetreuen Pfarrers. Der Abbé wurde wegen aufrührerischer Reden vor das Bezirksgericht zitiert. Er stellte sich dem Richter als der Pfarrer von Choue vor und erklärte: „Ich kenne keine andere kanonische Einsetzung für Pfarrer als die, die durch ihren rechtmäßigen Bischof erfolgt. Da meine Stelle weder durch mein Ableben, noch durch meinen Rücktritt oder meine Absetzung vakant wurde, betrachte ich mich nach wie vor als der rechtmäßige Pfarrer von Choue.“ Das Verfahren, das für den mutigen Pfarrer verhängnisvoll hätte enden können, wurde wegen Formfehler für nichtig erklärt. Nichtsdestoweniger wurde er auf Betreiben einer Gruppe rebellischer Dorfbewohner aus der Gemeinde verjagt. Er blieb noch ein Jahr lang in der Nähe, dann tauchte er unter; sein Hab und Gut kam unter den Hammer.

„Carlos“

Nach dem Sturz Robespierres am 27. Juli 1794 trat in der Religionspolitik eine gewisse Entspannung ein. Abbé Balley hielt sich damals in Lyon auf, wo er sein Apostolat im Auftrag des rechtmäßigen, nach Lübeck vertriebenen Bischofs Marboeuf verdeckt ausübte. Sein Kartäuserbruder Étienne hatte den Eid verweigert und war am 14. Januar 1794 gleich nach seiner Verhaftung durch das provisorische Kommissariat durch die Guillotine hingerichtet worden. Seine beiden Schwestern, die ins Kloster gegangen waren, blieben ihrer Profess treu, obwohl sie nun in der Welt lebten. Der Bruder hingegen, der Regularkleriker geworden war, leistete alle geforderten Eide und durfte seine Pfarrstelle in Étalante in Burgund behalten – eine schmerzliche Erfahrung für Charles Balley, der unter dem Decknamen „Carlos“ mit Unterstützung einiger mutiger Frauen im Untergrund arbeitete. Er unterrichtete tagsüber als Privatlehrer und übte nachts – zunächst relativ unbehelligt, ab 1798 allerdings unter Lebensgefahr – sein Priesteramt weiter aus.

Die Unterzeichnung des Konkordats von 1801 zwischen dem Ersten Konsul Bonaparte und Papst Pius VII. leitete eine Periode des Friedens für die französische Kirche ein. Die Bischöfe erstellten jeweils eine Liste der verfügbaren Pfarrer. Abbé Balley stand sowohl auf der Liste des Bischofs von Blois, der ihn wieder in Choue haben wollte, als auch auf der Liste des Bischofs von Lyon. Gleich nach seiner Ernennung zum Erzbischof von Lyon berief Kardinal Fesch, der Onkel Napoleons, Abbé Balley zum Pfarrer von Écully nördlich von Lyon. Die Pfarrgemeinde umfasste 1250 Seelen, die sich auf rund 20 kleinere Weiler und zwei größere Siedlungen verteilten. Die Bevölkerung lebte von der Landwirtschaft; alle waren praktizierende Katholiken, wenngleich der Besuch der Sonntagsmesse zur Erntezeit immer wieder zu wünschen übrig ließ. In drei Viertel der Häuser war Weihwasser vorhanden, das Neue Testament sowie die „Nachfolge Jesu Christi“ wurden regelmäßig gelesen, und man betete gemeinsam. Alles, was mit dem Kultus zu tun hatte (Gebäude, Reliquien, Altäre und Priestergewänder), war trotz der Revolution in einem guten Erhaltungszustand. Gleichwohl ließ Charles Balley sämtliche Objekte erneuern bzw. renovieren: die heiligen Gefäße, die Bücher, den Baldachin … 1807 stattete er seine Kirche sogar mit einem Marmoraltar aus. Er pflegte die durch das Konkordat nun wieder zugelassenen öffentlichen Prozessionen; besonders feierlich begangen wurden nach 15 Jahren Unterbrechung die Bittprozessionen im Frühling, zu Fronleichnam sowie zu Mariä Aufnahme in den Himmel. Die Bruderschaft vom Allerheiligsten Sakrament wurde wiederbelebt und lud jeden Sonn- und Feiertag zur eucharistischen Anbetung ein. In der Fastenzeit intensivierte Abbé Balley seine strengen Bußübungen und versammelte seine Herde jeden Abend zum gemeinsamen Gebet, zu einer Andacht oder auch zu einem Vortrag. Die Erstkommunion fand jeweils zwischen Allerheiligen und Pfingsten statt; im Advent sowie vom ersten Fastensonntag bis Pfingsten pflegte der Priester nach der Sonntagsvesper zusätzlich zum vormittäglichen Religionsunterricht eine 45-minütige religiöse Unterweisung zu halten.

Zwei Schüler

Charles Balley machte gern Familienbesuche und ging auch auf kirchenferne Personen gerne zu. Dank seiner liebenswürdigen Art gelang es ihm oft, eheliche Zerwürfnisse zu schlichten oder Eltern zu überreden, ihre Kinder taufen zu lassen. Zudem unterstützte er die Schulen seiner Pfarrgemeinde nach Kräften, obwohl die Qualität des Unterrichts zu wünschen übrig ließ. Kardinal Fesch hatte über seine Generalvikare die Geistlichen bitten lassen, für Berufungen zu werben. Im Mai 1807 konnte ihm Charles Balley anlässlich einer Firmung zwei seiner Schüler vorstellen: Mathias Loras, einen aufgeweckten 14-jährigen Jungen, sowie einen 20-jährigen Jungbauern, Jean-Marie Vianney, der allerdings für ein Studium kaum geeignet schien.

Der junge Mann stammte aus dem Dorf Dardilly in der Nähe von Écully und wünschte sich schon seit Langem, Priester zu werden. Er hatte in seinem Pfarrer, Abbé Fournier, einen Förderer gefunden, der ihm Lesen und Schreiben beibrachte, als er bereits 17 Jahre alt war. Der Abbé starb jedoch 1806 einen frühen Tod. Bei seiner Beerdigung machte Abbé Balley einen nachhaltigen Eindruck auf die Trauergemeinde; so wandten sich Jean-Maries Mutter und Tante mit der Bitte an ihn, sich des jungen Mannes anzunehmen. Er lehnte zunächst ab, erklärte sich jedoch bereit, Jean-Marie kennenzulernen. Angesichts von dessen tiefer Frömmigkeit und Entschlossenheit änderte der Pfarrer seine Meinung: Im Winter 1806/1807 zog Jean-Marie ins Pfarrhaus und begann dort gegen Mithilfe im Haushalt zu studieren. Aus seiner mit Feldarbeit ausgefüllten Jugend brachte er eine robuste Gesundheit, einen Sinn für das Konkrete, Geduld sowie einen unerschütterlichen Willen mit. Das Erlernen der französischen und lateinischen Grammatik fiel ihm allerdings überaus schwer; er machte sich gleichwohl mit Demut und Beharrlichkeit an die Arbeit. Abbé Balley sparte trotz der langsamen Fortschritte seines Schülers weder an Mühe noch an Zuspruch. Als Letzterer entmutigt um Urlaub bei seinem Vater bat, der lediglich auf einen Vorwand wartete, um ihn auf dem Bauernhof zurückzuhalten, wurde er vom Abbé ausgeschimpft: „Wo willst du hin? Suchst du Ärger? Sagt Jesus nicht: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert (Mt 10,37)?“ Angesichts der geistlichen Fortschritte Jean-Maries, seiner Gebete, seiner Askese, seiner Gutmütigkeit und seiner Liebe zu Gott und zu den Armen, war der Pfarrer fest entschlossen, ihn – koste es, was es wolle – zum Priesteramt zu führen.

Er wird Priester!

Am 18. Oktober 1809 wurde Jean-Marie jedoch zum Militärdienst in der kaiserlichen Armee einberufen. Der Schlag war umso härter, als Napoleon ein Feind der vom Heiligen Vater verkörperten Kirche war. Musste man den Befehlen eines exkommunizierten Herrschers gehorchen? Jean-Marie kehrte nach einem Krankenhausaufenthalt nicht mehr zu seinem Regiment zurück, sondern folgte einem Deserteur in ein Dörfchen an der Loire. Als Frau Vianney den Pfarrer von Écully aufsuchte, um sich nach ihrem Sohn zu erkundigen, bekam sie folgende Antwort: „Machen Sie sich keine Sorgen um ihren Sohn. Er ist weder tot noch krank. Er wird nie Soldat, sondern Priester!“ Im März 1811 kehrte Jean-Marie in das Pfarrhaus zurück, nachdem sich sein Bruder François bereit erklärt hatte, an seiner Stelle einzurücken.

Jean-Marie erhielt mit 25 Jahren die Tonsur und tat damit den ersten Schritt zum Altar des Herrn. Gleichwohl hatte er nach wie vor Mühe mit dem Lernen; die Einträge, die er im Auftrag des Abbés in die Register der Pfarrgemeinde machte, wiesen eine überaus fantasievolle Rechtschreibung auf. Im geistlichen Leben aber wandelte der Schüler in den Fußstapfen seines Lehrers. „Um den lieben Gott zu lieben, reichte es, wenn man Abbé Balley immer wieder sagen hörte: ‚Mein Gott, ich liebe dich!’“, berichtete er später.

An Allerheiligen 1812 schickte der Pfarrer von Écully seinen Schüler auf das Seminar von Verrière, damit er dort die Vorbereitungskurse für das Theologiestudium absolviere. Das Jahr wurde für Jean-Marie sehr beschwerlich: Die Klassen waren überfüllt, es herrschte Disziplinlosigkeit, den Lateinstunden konnte er nicht folgen, und die Wiederholungen in Französisch halfen ihm auch kaum weiter. Er konnte schließlich von einer von Bischof Fesch eingeführten Erleichterung profitieren und als älterer Seminarist ohne Beendigung der Vorbereitungskurse direkt zum Theologiestudium wechseln. Doch nach sechs Wochen am Großen Seminar von Lyon endete Jean-Marie Vianneys erste Prüfung vor dem Erzbischof mit einem Debakel; er wurde völlig entmutigt nach Écully zurückgeschickt. Abbé Balley tröstete ihn und schickte ihn energisch wieder an die Arbeit: „Wenn du jetzt aufgibst, dann ist es aus und vorbei mit der Messe …!“ Er opferte seine ganze Freizeit, um seinen Schützling in französischer Sprache auf das Theologieexamen vorzubereiten.

Auf sein Betreiben hin durfte Jean-Marie 1814 die Prüfung wiederholen. Der Generalvikar erkundigte sich zunächst eingehend nach der Frömmigkeit des Prüflings, und erst als alle seine Fragen positiv beantwortet waren, schickte er einen Prüfer ins Pfarrhaus, um den Kandidaten in französischer Sprache zu prüfen. Jean-Marie verstand diesmal die Fragen und gab zufriedenstellende Antworten. So wurde er zu den niederen Weihen zugelassen und am 2. Juli 1814 sogar zum Subdiakon geweiht. Ein paar Tage danach fand das Jahresabschlussexamen statt. Obwohl Jean-Maries Noten ungenügend waren, erlaubte ihm die Diözesanleitung dennoch, sein Studium in Abbé Balleys Obhut fortzusetzen. Bei den infolge der politischen Instabilität vorgezogenen Diakonatsweihen wurde Jean-Marie Vianney zusammen mit 60 weiteren Kandidaten am 23. Juni 1815 zum Diakon geweiht. Abbé Balley verdoppelte nun seine Anstrengungen, damit sein Kandidat baldmöglich auch die Priesterweihe empfangen könne, und unterrichtete ihn weiter, bis seine Studien abgeschlossen waren. Jean-Marie wurde schließlich am 13. August in Grenoble im Auftrag Kardinal Feschs, der damals im Exil lebte, zum Priester geweiht. Als Abbé Balley seinem Vikar am folgenden Sonntag, dem 20. August, bei der 6-Uhr-Messe assistierte, empfand er eine stille, überwältigende Freude über das Erreichte.

Er musste nun seine Erfahrung als Beichtvater an seinen Schützling weitergeben und ihn auf die Ausübung dieses Amtes vorbereiten. Bis es soweit war, betraute er Jean-Marie mit dem Religionsunterricht für zurückgebliebene Kinder sowie mit der Vorbereitung der Predigten, wobei er ihn jedoch aus Rücksicht auf seine Schüchternheit und sein mangelndes Selbstwertgefühl vorerst nicht selbst predigen ließ. Er brachte ihm bei, wie man eine Pfarrei gut verwaltet und ließ ihn die Register der Gemeinde führen; die aus dem Jahr 1817, die Abbé Balley aus Krankheitsgründen nicht korrigieren konnte, weisen immer noch viele Rechtscheibfehler und alle möglichen Lücken auf. Das Geheimnis des Pfarrhauses von Écully lag im Streben nach Heiligkeit begründet: durch das morgendliche Gebet vor dem Tabernakel, durch die geistlichen Gespräche, das gemeinsame Brevierlesen, die Andachten, die Wallfahrten nach Fourvière (Lyons marianischen Heiligtum), die Bußübungen zugunsten der Armen und nicht zuletzt durch eine überwältigende Gastfreundschaft.

Lassen Sie das verschwinden!

1817erkrankte Abbé Balley an einem Beingeschwür und musste sich immer stärker auf seinen Vikar stützen; an Allerheiligen spürte er, dass er bald sterben werde; er rief Jean-Marie zu sich und reichte ihm seine Geißelinstrumente: „Hier, mein armer Vianney, lassen Sie das verschwinden! Wenn man das nach meinem Tode fände, würde man glauben, ich hätte meine Sünden hinreichend gebüßt …“ Er starb am 16. Dezember 1817 im Alter von 66 Jahren.

Jean-Marie Vianney wurde bald zum Pfarrer von Ars ernannt und hielt es in allem genau so, wie er es bei seinem geliebten Lehrer gelernt hatte – mit vollem Eifer, manchmal auch ohne das rechte Maß, aber mit stets wachsender Inbrunst. „Ich wäre bestimmt etwas vernünftiger geworden, wenn ich das Glück gehabt hätte, immer mit Herrn Balley zu leben“, behauptete er. Er wurde unter dem Einfluss des Heiligen Geistes zum heiligen Pfarrer von Ars, zum Musterbild des engagierten Pfarrers sowie zum Patron aller Pfarrer auf der Welt. Er war das Meisterwerk von Abbé Charles Balley.

Der Eifer des Letzteren entspricht dem Wunsch Papst Benedikts XVI.: „Bewahrt daher – in euch selbst und in eurem Umfeld – die Sehnsucht, unter den Gläubigen neue Priesterberufungen zu wecken, indem ihr dem Wirken der Gnade des Heiligen Geistes zur Seite steht … Nie wird etwas eine Messe für das Heil der Welt ersetzen können!“ (Fatima 2010).

Dom Antoine Marie osb
Abbaye Saint-Joseph de Clairval
21150 Flavigny-sur-Ozerain
Frankreich