Charles Bailey • der Priester, dem wir den Pfarrer von Ars verdanken Franz Hillig SJ, Darmstadt

 Als Bonaparte im Jahre 1802 mit dem Heiligen Stuhl das Konkordat abschloß, ging für die Kirche Frankreichs eine zwölfjährige Verfolgungszeit zu Ende. Die Verwüstungen waren unabsehbar: eine gespaltene Kirche, ein in •jureurs" und •non-jureurs" gespaltener Klerus, ein unglaublicher Priestermangel. Nun kamen sie langsam zurück, die Priester, die überlebt hatten, die ausgewandert oder untergetaucht waren; die Bischöfe konnten daran denken, die zahllosen vakanten Pfarreien wieder zu besetzen. Noch Ende 1806 waren allein in der Erzdiözese Lyon über 300 Stellen vakant!


     Im Zuge dieser Neubesetzungen ernannte der neue Erzbischof Fesch von Lyon am 1. Februar 1803 auch einen Seelsorger für Ecully, den Nachbarort von Dardilly, etwa 30 Kilometer nördlich von Lyon. Durch diesen Akt der kirchlichen Verwaltung sollte der junge Jean-Marie Vianney dem Mann begegnen, ohne dessen tatkräftige Hilfe er nach menschlichem Ermessen niemals sein Ziel, das Priestertum, erreicht hätte. Dardilly war der Geburtsort Vianneys, und im nahen Ecully lebte eine Schwester seiner Mutter. Der neue Seelsorger hieß Charles Balley. Offenbar hat ihm die Tante als erste von dem geheimen Wunsch des Neffen gesprochen, Priester zu werden. Als aber Balley die näheren Umstände erfuhr, daß nämlich der Bauernbursch erst mit 17 Jahren notdürftig Lesen und Schreiben gelernt habe und wenig Eignung zum Studium besitze, winkte er ab.
     Es ist auch nicht richtig, daß Abbe Balley, wie man in den Biographien des Pfarrers von Ars lesen kann, eine Pfarrschule unterhalten habe. Er hatte damals einen einzigen Schüler, den vierzehnjährigen Matthias Loras, der später Bischof wurde. Freilich drängte Kardinal Fesch angesichts des schreienden Priestermangels bei seinem Klerus energisch darauf, sich der Priesterberufe anzunehmen, und dieses Drängen des Oberhirten mag mit dazu beigetragen haben, daß Pfarrer Balley schließlich doch mit sich reden ließ.
     Im Winter 1806/07 einigte man sich auf folgenden Kompromiß: Vianney, der inzwischen zwanzig Jahre zählte, würde bei seiner Tante in Ecully wohnen, bei Pfarrer Balley als Hausdiener arbeiten und gleichzeitig bei ihm Unterricht nehmen, mit dem jungen Loras zusammen. Offenbar hatte sich Pfarrer Balley den jungen Mann gründlich angeschaut und war zu der Überzeugung gekommen, daß er einen Berufenen vor sich hatte. Er nahm ihn in sein Haus und übernahm ihn, wie ein Meister einen Jünger übernimmt. Ja man kann allen Ernstes sagen: er war von Vianneys Berufung unerschütterlicher überzeugt als dieser selbst. Nach Gottes Gnade und offenbar als Werkzeug von Gottes Gnade verdanken wir es diesem Mann, daß es den Pfarrer von Ars gibt.
     Wer war dieser Balley? Ich muß gestehen, daß mich diese Frage beschäftigt, seit ich mich mit dem Leben Vianneys abgegeben habe. In den Biographien Vianneys ist darüber kaum etwas zu erfahren. Inzwischen hat Professor Paul Vial, Lyon, daraufhin die Archive durchforscht, und wenn der Ertrag auch nicht so reich ist, wie man es wünschen könnte, so können wir uns aufgrund von Vials Forschungen heute doch schon ein besseres Bild vom Leben und von der Gestalt dieses Mannes machen, der recht eigentlich der •Meister" des Pfarrers von Ars gewesen ist1 . Charles Balley wurde am 30. September 1751 in Lyon geboren. Er war mithin 34 Jahre älter als Vianney, der am 8. Mai 1786 zur Welt kam. Die Baileys waren eine gut bürgerliche, streng christliche Familie. Charles war das jüngste von 16 Kindern. Nicht weniger als fünf gingen ins Kloster: zwei Schwestern und drei Brüder. Ein Bruder trat bei den Kartäusern ein, ein zweiter wurde Augustiner-Chorherr. Zu den Augustinern fühlte auch unser Charles sich hingezogen. Mit fünfzehneinhalb Jahren wurde er am 24. März 1767 ebenfalls bei den Augustiner-Chorherren aufgenommen. Diese sind nicht mit den Augustiner-Eremiten zu verwechseln; vielmehr handelt es sich um die Kongregation der französischen Augustiner-Chorherren, nach ihrem Pariser Stift St. Genovefa •Genovefaner" genannt. Ihre Hauptaufgabe bestand in Pfarrseelsorge und der Pflege der Liturgie. Daß bei ihnen auch die Wissenschaft groß geschrieben wurde, ersieht man schon daraus, daß das wissenschaftlich hochstehende Stift zu Paris jeweils den Kanzler der Universität stellte. Die Genovefaner trugen einen weißen Talar.
     Auf ein Jahr Noviziat folgten sieben Jahre Studien: zwei Jahre Humaniora (Literatur, Geschichte, Geographie, Mathematik), vier Semester Philosophie und sechs Semester augustinisch ausgerichtete Theologie. Bei aller Achtung vor der Wissenschaft stand dennoch die Ausbildung zum Seelsorger im Vordergrund. Nur wer sich durch jahrelange Arbeit in der Seelsorge bewährt hatte, durfte eine Pfarrstelle übernehmen. In ihren Konstitutionen wurden die Augustiner-Chorherren angeleitet, das christliche Volk unermüdlich mit dem Wort Gottes zu nähren, sich der Kranken, der Armen und Unglücklichen mit väterlicher Liebe anzunehmen, das einfache Volk und die Kinder eifrig in der christlichen Lehre zu unterweisen und die Liturgie mit gebührender Feierlichkeit zu begehen. Wie man sieht, ein Programm, das über Beispiel und Lehre Baileys zum Programm des heiligen Pfarrers von Ars werden sollte.
     Auch ein anderer, weniger erfreulicher Einfluß ist nicht zu verkennen: der des Jansenismus. Der Jansenismus berief sich bekanntlich auf Augustinus; und wenn die Augustiner sich auch notgedrungen den Verurteilungen der Bulle Unigenitus unterwarfen (sie taten es reichlich spät), so gab es doch unter ihnen nicht wenige, die weiter jansenistisch dachten. Zu ihnen gehörten auch leitende Chorherren, in deren Händen die Ausbildung des jungen Balley lag. Es wäre nicht zu verwundern, wenn hier eine der Quellen für den Rigorismus läge, der besonders während der ersten Jahre im Wirken des Pfarrers von Ars festzustellen ist.
     Am 23. Dezember 1775 wurde Balley zum Priester geweiht. Er war schon in den voraufgehenden Jahren als Erzieher in den Ordensschulen tätig gewesen; nun wurde er ebendort als Lehrer verwandt.
     Im September 1779 schickten die Obern Charles Balley in das heimatliche Lyon zurück, wo ihm neben Seelsorgsarbeiten die Erziehung der wenigen Novizen der dortigen Kommunität anvertraut wird. Es waren ihrer fünf, und es scheint, daß sie eine feste Hand nötig gehabt haben. Der achtundzwanzigjährige Novizenmeister ließ es jedenfalls an Bestimmtheit nicht fehlen: Zwei Novizen werden die Gelübde aufgeschoben, einer wird kurzerhand weggeschickt, eine Maßnahme, die einzig dastand; nur zwei Novizen können ihr Noviziat in Ruhe fortsetzen. Offenbar kommt in diesem energischen Durchgreifen ein Charakterzug Baileys zur Anschauung.    
     Endlich, nachdem sich der junge Chorherr auf diese Weise in der Ordensgemeinschaft und in der Seelsorge bewährt hatte, erhielt er seine erste selbständige Pfarrei. Inzwischen hatten sich am kirchenpolitischen Horizont dunkle Wolken zusammengezogen: die Revolution brach aus. Die Zivilkonstitution von 1790 hob die Orden auf. Von nun an ist Abbe Balley einfach Weltpriester. Es überrascht, daß er 1791 den Eid leistete; aber er tat es mit einer öffentlich verlesenen Klausel, die über seine kirchliche Gesinnung keinen Zweifel ließ. In der Folgezeit trat er so energisch gegen die vom Staat eingesetzten Priester und Bischöfe auf, daß er mehrfach verhört und schließlich gezwungen wurde, seine Pfarre zu verlassen.
     Von Ende 1792 bis Frühjahr 1795 verliert sich seine Spur. Sie taucht in seiner Heimatstadt Lyon wieder auf, wo er bei zuverlässigen Freunden eine Zuflucht fand, so bei der Witwe Loras, einer Mutter von elf Kindern, deren Gatte ein Opfer der Guillotine geworden war. Baileys Bruder, der Kartäuser, wurde am 14. Januar 1794 wegen seines christlichen Bekenntnisses in Lyon hingerichtet. Es ist doch wohl für den Familiengeist der Balley bezeichnend, wenn diesem Bruder in seinem Todesurteil vorgeworfen wird: •Kartäuserpriester von übertriebenem Fanatismus, weigert sich, sein Weihezeugnis herauszugeben; beruft sich darauf, daß er es von Gott habe." Eine Schwester Baileys ist wie durch ein Wunder an der Guillotine vorbeigekommen. Es gelang ihr, von dem Hinrichtungskarren (den berüchtigten •charettes") aus zu entkommen.
Während der Jahre des Revolutionsterrors wirkte Balley als Hauslehrer getarnt unter dem Decknamen Carlos in der Untergrundseelsorge. Er gehörte zu den •missions", wahren Stoßtrupps der klandestinen Seelsorge, die der Generalvikar Linsolas aufgezogen hatte, ein Mann von der gleichen tapferen Unbeugsamkeit wie Balley selbst. In den kirchlichen Archiven finden sich in jenen Jahren unter dem Namen Balley manche Taufen und Eheschließungen verzeichnet, doch die meisten Sakramente mußten in aller Heimlichkeit gespendet werden: die Meßfeier, die Glaubenslehre, das gesamte religiöse Leben spielte sich im Untergrund ab. Man erinnert sich, wie der kleine Jean-Marie Vianney in diesem Katakombenchristentum aufwuchs und ihn offenbar das Beispiel dieser furchtlosen Untergrundpriester beeindruckte. Aber es ist unhistorisch, dabei an Abbe Balley zu denken.
     P. Vial macht mit Recht darauf aufmerksam: •Die apostolische Tätigkeit des Abbe Balley spielte sich in Lyon ab und nicht in Ecully, wie sämtliche Biographen des heiligen Pfarrers von Ars behaupten. Zur Missionarsgruppe von Ecully gehörten die Abbes Brun, Chaillou, vor allem der Sulpizianer Royer, der Kartäuser Eustache, Abbe Groboz und gelegentlich noch andere Priester, aber nie Abbe Balley. Die Schilderung heimlicher Messen von Abbe Balley, denen der junge Jean-Marie Vianney beigewohnt hätte, gehört also ins Reich der Phantasie" (455).
     Nach dem Abschluß des Konkordats wurde, wie schon berichtet, Abbe Balley für Ecully erkoren und traf im Februar 1803 dort ein. Er war 51 Jahre alt und stand im besten Mannesalter. Er war •ein schöner Mann", wie Vianney, der selbst klein und schmächtig war, bewundernd von ihm sagte. Die Mitbrüder und Vorgesetzten stellen Abbe Balley einhellig das beste Zeugnis aus. Sie betonen seine Begabung, seine reichen Kenntnisse, seine Frömmigkeit und seinen apostolischen Eifer. Bei aller Würde in seiner Erscheinung war er doch freundlich. Vianney schaute bewundernd zu seiner Frömmigkeit und Lebensstrenge auf.
     Was während der Amtszeit Pfarrer Baileys besonders auffiel, war der Wert, den er auf Ausstattung und Verschönerung der Kirche legte. Das war Geist vom Geist der Genovefaner. Trotz der geringen zur Verfügung stehenden Mittel ging er daran, die heiligen Geräte, die liturgischen Bücher, den Traghimmel für die Prozession mit dem Allerheiligsten zu erneuern. Ein neuer Altar aus Marmor wurde aufgestellt. Freilich ist wahr, daß der Besuch von Kardinal Fesch bevorsteht, bei welcher Gelegenheit auch Vianney mit 21 Jahren das Sakrament der Firmung empfangen sollte. Tausende Erwachsener strömten damals bei den Firmreisen herbei und ließen sich die Firmung spenden, deren Empfang in den Revolutionsjahren unmöglich gewesen war.
     Unter den Rechnungen der Pfarrei Ecully, die in den Archiven lagern, findet sich auch eine auf 288 Franken lautend für eine reiche Kasel. Sie ist datiert: Juni 1815. Das sind zwei Monate vor Vianneys Priesterweihe. Ob sie im Hinblick auf seine Primiz angeschafft wurde? Jedenfalls wird der heilige Pfarrer von Ars als treuer Schüler seines Meisters Balley stets die Maxime vertreten, daß nichts zu schön ist für die Zier des Gotteshauses. Die Lyoner Paramentenhändler werden oft genug staunen, wieviel dieser bescheidene Landpfarrer für schöne kostbare Gewänder und teuren Kirchenschmuck übrighat.
     In seiner persönlichen Lebensführung dagegen war Pfarrer Balley äußerst anspruchslos. Als er starb, hinterließ er ganze 200 Franken, die er den Armen vermachte. Er ist offenbar kein bequemer Charakter gewesen. Es fällt auf, daß es kein Mitarbeiter lange bei ihm aushielt. Selbst Vianney hat gestanden, daß er bei Pfarrer Balley nie tun konnte, was er wollte. So beginnt sich das Bild dieses Mannes allmählich vor unseren Augen zu runden: Eine Priesterpersönlichkeit alten Schlages: willensstark, autoritär, mit einer guten Allgemeinbildung und solidem theologischem Wissen. Von Kindheit an christlich erzogen, in langen Ordensjahren religiös vertieft und gereift, in den Stürmen der Verfolgung gehärtet, ein Mann, dem asketische Lebensstrenge zur zweiten Natur geworden ist.
     Hier mag eine Szene Platz finden, die gleicherweise für den •Klerofaschismus" jener Jahre der Restauration (die •terreur blanche") wie für die autoritäre Strenge Baileys bezeichnend ist. Pfarrer Balley stellte mit Empörung fest, daß Gemeindemitglieder noch während des Gottesdienstes die Kirche verließen und draußen schwatzend herumstanden. Er wandte sich dieserhalb beschwerdeführend an den Bürgermeister. Der erließ daraufhin eine salbungsvolle Bekanntmachung und wies den Dorfgendarm an, dafür zu sorgen, daß dieser Unfug aufhöre.
     Zurück zu Vianney! Das also war der Mann, zu dem er mit seinem Traum vom Priesterwerden seine Zuflucht nahm. Balley, der Pädagoge und Schulmann, machte sich keine Illusionen: berghoch türmten sich die Schwierigkeiten. Was das Schulwissen anging, war ungefähr bei Null anzufangen. Vor allem aber galt es, dem jungen Menschen Mut zu machen und immer wieder ihm Mut zu machen. Denn er tat sich mit dem Lernen entsetzlich schwer.
     Da kam im Oktober 1809 für Schüler und Lehrer ein neuer Nackenschlag: der Gestellungsbefehl, beziehungsweise die langen Monate, da Vianney sich als Deserteur in les Noes verborgen halten mußte. Erst 1811 ermöglicht es eine Amnestie, die gemeinsame Arbeit wieder aufzunehmen. Ein Jahr später glaubte es Pfarrer Balley wagen zu können und schickte seinen Schüler ins Seminar von Verrieres, um die letzten Gymnasialklassen zu absolvieren. Vianney war 26 Jahre alt. Doch war er keineswegs der einzige. Von den 229 Mitschülern sind zehn älter als er, vier im gleichen Alter und weitere zwanzig nur wenig jünger. Kardinal Fesch hat Verständnis für diese nachrevolutionären Zustände. Er hat es eilig; er braucht Priester. So läßt er in gekürztem Studiengang auch die Schwachbegabten bereits nach einem Jahr ins Große Seminar überwechseln. Insofern haben die wirren Zeitverhältnisse Vianney nicht nur behindert; sie haben gleichzeitig seinen Ausnahmeweg überhaupt erst ermöglicht. Man drückte bei diesen alten, offenbar bärtigen Seminaristen ein Auge zu und nahm sie auf •propter barbara", wie der Generalvikar an Fesch schrieb.
     Man hat bisher immer gelesen, daß Vianney nur ein Semester lang im Großen Seminar gewesen ist. Nach der Veröffentlichung von P. Vial ist es noch katastrophaler gewesen: Er wurde bereits nach sechs Wochen wieder heimgeschickt. •Debilissimus" • •äußerst schwach", die schlechteste Note, die es überhaupt gab. Man kann sich unschwer vorstellen, wie niedergeschlagen Vianney nach Ecully zurückkam. Er hätte am liebsten aufgegeben; aber Pfarrer Balley war nicht so schnell zu entmutigen. Der Hauptgrund des Versagens lag auf der Hand: der Unterricht wurde an der Hochschule auf Latein gegeben; Vianneys Lateinkenntnisse aber waren äußerst schwach. Balley tat das einzig Vernünftige: er übernahm den theologischen Unterricht auf Französisch.
     Man darf sich von diesem Lehrbetrieb im Pfarrhaus kein idyllisches Bild machen. Die politische Lage blieb verworren genug: die Truppen der Heiligen Allianz marschierten in Frankreich ein. Ecully lag im Kampfgebiet; um Dardilly wurde erbittert gekämpft, es wechselte mehrfach den Besitzer. Napoleon wurde nach Elba verbannt; aber Napoleon landete erneut in Frankreich. Es folgten die hundert Tage, es folgte Waterloo, und wieder sind die Österreicher da. Wahrhaftig keine günstige Zeit, um in Ruhe zu studieren. Die Note im nächsten Examen lautet denn auch: •debilior", immer noch viel zu schwach.         
Wieder schaltete sich Pfarrer Balley ein. Er fuhr nach Lyon und erreichte das Erstaunliche, daß die Prüfung im Pfarrhaus zu Ecully wiederholt werden durfte, und hier, in der ihm vertrauten Umgebung, in einem offenbar ruhigen Gespräch ist das Ergebnis auf einmal befriedigend. Kurz und gut, Balley erreichte es, daß sein Schützling zu den verschiedenen Weihen zugelassen wurde. Er ist der Lehrer und Mentor gewesen, der Vianney von Stufe zu Stufe geführt hat. Am 13. August 1815 steht Vianney dann tatsächlich am Ziel seiner Wünsche. An diesem Tag empfängt er ganz allein vom Bischof von Grenoble die Priesterweihe. Am folgenden Sonntag, dem 20. August, kann der Dreißigjährige in Ecully das heilige Opfer feiern.
     Pfarrer Balley hat bei den hohen Herren im Ordinariat zu Lyon noch etwas erwirkt: der Neugeweihte wird ihm als Kaplan zugeteilt. Dahinter steht offenbar die Absicht, die trotz allem dürftige theologische Unterweisung seines Schützlings zu vervollständigen. Man hat ja nicht gewagt, Vianney die Beichtvollmacht zu erteilen. So nahm Balley nun vor allen Dingen die Moraltheologie vor. Er führte den Neupriester in die Spendung der Sakramente und die Katechetik ein. Es war praktisch sein drittes Jahr Theologie.
     Zwei Priester leben nun im Pfarrhaus von Ecully. Sie leben in bitterer Armut; aber so leben die kleinen Leute in jener Notzeit alle. Der Pfarrer und sein Kaplan wetteifern miteinander in heiliger Bußstrenge. Sie beten viel und verrichten das Stundengebet gemeinsam. Das Geistliche steht im Mittelpunkt ihrer Gespräche. Sie halten gemeinsam Tage der Einkehr oder pilgern zur Muttergottes von Lyon-Fourviere. •Ich wäre am Ende doch noch vernünftig geworden, wenn ich das Glück gehabt hätte, immer mit Abbe Balley zusammen zu leben", hat Vianney später gesagt. Dieses Glück sollte indes nicht von langer Dauer sein. Balley wurde krank. Im Herbst 1817 verschlimmerte sich sein Zustand so, daß Vianney ihm die heiligen Sakramente spendete. Er starb am 16. Dezember 1817 im Alter von 66 Jahren.
     Zwei Monate später erhielt Vianney seine Versetzung nach Ars. Er zog mit den paar armseligen Sachen, die Pfarrer Balley ihm vermacht hatte, an die Stelle seines neuen Wirkens: ein paar Bücher, ein Bett, etwas Wäsche . .. Balley hatte ihm mehr vermacht: seinen Geist: den tiefen Glauben, die Sehnsucht nach Gott, die Hingabe der letzten Kraft. Er hatte ihn für sein Leben geprägt.
     Kann man nicht in dem Verhältnis Balley-Vianney eine schöne Verwirklichung dessen erblicken, was das Konzil allen Priestern wünscht: Sie möchten ein lebendiges Zeugnis für Gott geben: •als eifrige Nachahmer jener Priester, die im Lauf der Jahrhunderte in oft demütigem und verborgenem Dienst ein hervorragendes Beispiel von Heiligkeit hinterließen. Ihr Lob lebt in der Kirche Gottes" (Konstitution über die Kirche V, 41)!

1 Paul Vial: Le Maitre du eure d'Ars: Charles Balley (1751-1817) in: L'Ami du Clerge 10. Juli 1959, 449-458, ein Aufsatz, der zur Jahrhundertfeier erschien, auf den wir aber erst jetzt aufmerksam geworden sind. P. Vial hat mit großer Sorgfalt alle erreichbaren Archive durchforscht. Wer die genauen Belege sucht, findet sie am angegebenen Ort. Wir glaubten hier auf Quellenverweise im einzelnen verzichten zu können, wie auch unsere Entlehnungen aus dem Beitrag P. Vials nicht im einzelnen gekennzeichnet sind.

Aus: Geist und Leben 39 (1966), Heft 4 Juli/August [Seiten 265–271]