„Jesus sah, dass er mit Verständnis geantwortet hatte, und sagte zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und keiner wagte mehr, Jesus eine Frage zu stellen.“ Mk 12,34
„Diese Seele ist mir sehr teuer gekommen, ich liebe sie noch, auch in ihren Sünden.“
°Pfr. von Ars
Oft haben die Menschen erfahren, dass der Herr Antworten auf die schwierigsten Fragen des Lebens hat wie kein anderer, Antworten, die wegweisend sind, aber auch gleichzeitig Kraft verleihen, diesen Weg zu gehen.
Und doch wagt es niemand mehr, Jesus eine Frage zu stellen. Warum wohl? Woher kommt diese Scheu?
Die Angst vor Fragen an Jesus tritt auch sonst auf. Es heißt nach der zweiten Ankündigung von Leiden, Tod und Auferstehung Jesu: „Aber sie verstanden das Wort nicht, fürchteten sich jedoch, ihn zu fragen“ (Mk 9, 32).
Die Frage, welches Gebot das erste von allen ist, war nicht nur damals zentral, sondern ist es auch heute. Der Schriftgelehrte, der diese Frage gestellt hat, hat schon begriffen, dass nicht das äußere Opfer entscheidend ist, sondern die Liebe zum Nächsten.
„Du bist nicht fern vom Reich Gottes“, bestätigt Jesus. Das ist zwar eine Anerkennung, aber offensichtlich fehlt bei dieser Antwort noch etwas, was der Schriftgelehrte zu diesem Zeitpunkt nicht wissen kann. Das Ausmaß der Liebe des Herrn übersteigt alle menschlichen Vorstellungen, nämlich durch Leid und Tod zum Geschenk des neuen Lebens in der Auferstehung. Das Ziel ist zwar unendlich großartig und erstrebenswert, aber der Weg dorthin ist einfach unfassbar erschreckend. So wollen sich die Jünger und auch der Schriftgelehrte wohl davor schützen, die ganze Realität des Lebens Jesu und dann auch das Leben in seiner Nachfolge zu erfahren. Es übersteigt menschliches Vermögen bei weitem.
Kennen wir das nicht, dass wir etwas ahnen, uns dem aber nicht stellen wollen aus Angst vor den damit verbundenen Konsequenzen? So kann man leicht manches Schwere ausblenden, aber eben nicht auf Dauer.
Aber Jesus hat eine unerschöpfliche Geduld. Er kann warten. Er geht Seinen Weg der Erlösung für uns weiter, sodass alle mit offenem Herzen ganz allmählich die Größe Seiner Liebe in Seinem Leid und Tod erahnen können und versuchen Ihm nachzufolgen.
Der Pfarrer von Ars hat sehr tief die Liebe Jesu erfahren, die niemanden ausschließt, auch nicht die schwersten Sünder, die von der Gesellschaft abgelehnt werden. In der Nachfolge Jesu nimmt er die ihm zugedachten Leiden an, damit auch solche Menschen Jesu Liebe erfahren und die Kraft zur Umkehr erhalten.
Auch er hatte eine große Geduld. Seine Predigten waren das eine, sein Leben aber das andere, das wichtigere. An ihm, an seiner Person haben die Menschen Jesu Liebe gesehen und erfahren. So reichte oftmals ein Blick von ihm, sodass jemand in Tränen zerfloss, bei ihm zur Beichte ging und danach vor Freude sich gar nicht mehr fassen konnte. So überwältigend ist die Erfahrung der Liebe Gottes.
Mit dem Heiligen Pfarrer wollen auch wir versuchen, den Weg der Geduld und der Liebe zu gehen, auch in der Annahme aller uns zugedachten Leiden. Es genügt nicht, die Entfernung so vieler Menschen vom Herrn wahrzunehmen oder gar zu kritisieren. Der Weg der Nachfolge ist anders. Der Pfarrer von Ars wird uns dabei begleiten.
2.10.2024 ih
Aus: Jean-Marie Vianney Pfarrer von Ars, hrsg. Bernard Nodet, 1959, S.61