7. Sonntag im Jahreskreis 20.02.2022 Lesejahr C

„Doch ihr sollt eure Feinde lieben und Gutes tun und leihen, wo ihr nichts zurückerhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Lk 6, 35f

„ Ich kann nur das eine bedauern“, musste Raymond später sagen, „dass ich nicht genug Nutzen aus seinem Beispiel gezogen habe; ich zähle jedoch auf seine gütige väterliche Zuneigung, die er mir immer erwiesen hat.“°

Nein, nein, nein! möchten wir am liebsten ausrufen auf die Worte Jesu hin: wir können nicht barmherzig sein, wie der Vater barmherzig ist. Jesus wird jedoch nicht müde, die Barmherzigkeit des Vaters zu lehren, die wir in Seiner Person erfahren dürfen. Er spricht nicht das, was die Menschen hören möchten, sondern Er verkündet die Worte Seines Vaters. Wir möchten für uns Barmherzigkeit haben, aber tun uns schwer, diese  auch nur in  annähernd gleichem Maße anderen zu schenken.

Der Herr nimmt Seine Worte nicht zurück. Aber Er hilft uns auf dem Weg zum Verständnis dieser Worte weiter, wenn Er immer wieder Menschen in Seinen Dienst nimmt, in denen Seine Barmherzigkeit aufleuchtet. Der Pfarrer von Ars und sein Umgang mit seinem Hilfspriester Raymond ist  dabei unglaublich beeindruckend.

„Er war zwanzig Jahre jünger als der Pfarrer von Ars und dieser hatte sogar sein Pensionsgeld im Seminar bezahlt. Raymond ging aber ein Stück Takt und Selbsterkenntnis ab… Rücksichtslos richtete er sich im Zimmer des Pfarrers wohnlich ein, während der heilige Mann sich mit einem dumpfen, sehr feuchten Raum im Erdgeschoss zufrieden gab… Jäh, herrisch, eigensinnig in seinen Entscheidungen, eingebildet auf sein Wissen und seine Beredsamkeit, behandelte er den Mann, der sein Wohltäter gewesen und nun sein Vorgesetzter war, mit Härte, ohne Schonung, ohne jegliche Rücksicht auf sein Alter und seine Heiligkeit… Er ging sogar so weit, ihn öffentlich auf der Kanzel anzugreifen.“°²

Acht Jahre lang – von 1845-1853  - ließ der Pfarrer von Ars dies über sich ergehen. Er verteidigte seinen Hilfspriester sogar gegenüber seinen Gläubigen und seinem Bischof.

„Viel habe ich ihm zu verdanken“, vertraute er seinen Freunden an; „ohne ihn müsste ich mir sogar Sorgen machen, ob ich den lieben Gott ein bisschen liebe.“°³

Die Frucht dieser Geduld ist groß. Raymond erkennt sein eigenes Unrecht und die Heiligkeit des Pfarrers von Ars. Vor dem Tod Vianneys konnte Raymond ihn noch einmal umarmen. Nach dem Begräbnis wurde er aufgefordert seine persönlichen Erinnerungen zusammenzustellen.  Aus den verbliebenen Texten und seinen Aussagen im  Seligsprechungsprozess werden Bewunderung und Hochachtung für den Heiligen ersichtlich.

Diese Barmherzigkeit kostete den Pfarrer von Ars viel. Der Umgang mit seinem Hilfspriester wurde für ihn zum Prüfstein seiner Liebe zu Gott.

Die Teilnahme an der Barmherzigkeit Gottes führt zum Frieden und zur Umkehr der schwierigsten Menschen.

Auch wenn wir noch so ohnmächtig und schwach sind, der Herr richtet das Lernprogramm Seiner Barmherzigkeit nach unserem Vermögen, wenn wir uns wenigstens danach sehnen. Eine große Hilfe ist der Pfarrer von Ars an unserer Seite. Schauen wir nicht auf uns, sondern allein auf den Herrn und fangen wir an, unseren schwierigsten Mitmenschen mit der Barmherzigkeit des Vaters zu begegnen.
26.01.2022 ih

°Aus: Francis Trochu, Der Pfarrer von Ars,  2001, S.419

°²ebenda S. 418

°² ebenda S. 419