6. Sonntag im Jahreskreis 13.02.2022 Lesejahr C

„Jesus richtete seine Augen auf seine Jünger und sagte:

Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes…
Doch weh euch, ihr Reichen; denn ihr habt euren Trost schon empfangen.“ Lk 6,20.24

„Aus Achtung überließ man ihm fast immer die Leitung der Unterhaltung, so bestand keine Gefahr, dass sie von den ihm vertrauten Themen abkam: Gott und das Heil, die Eitelkeit der Vergnügen dieser Welt und die Dauerhaftigkeit der Freuden der anderen.
Das war wie ein neuer Katechismus… Er erzählte – und er erzählte sehr gut – hundert verschiedene Anekdoten aus dem Leben der Heiligen mit einer Frische der Vorstellungskraft… besonders unerschöpflich, wenn es sich darum ging zu beweisen,  dass die Heiligkeit einen Menschen gleichsam zum Herrscher über den  Willens Gottes macht.“ °

Polarisieren, das ist es, was heute überhaupt nicht erwünscht ist. Es gibt doch immer zu jeder Seite verschiedene Aspekte.

Anders als die acht Seligpreisungen bei Matthäus finden wir bei Lukas vier Seligpreisungen und vier Wehe-Rufe. Jesus polarisiert in seiner Souveränität, er preist die Armen selig und schleudert den Reichen das Weh-euch entgegen.

Im Kontrast wird die Wahrheit jedoch am besten erkannt. Bei Armut und Reichtum denken wir in der Regel an Mangel oder Überfluss im materiellen Bereich. So kann man leicht diese Worte von sich schieben: arm oder reich sind die Anderen.

Aber ist das tatsächlich so leicht? Hat der Herr wirklich nur im materiellen Bereich gedacht? Wohl kaum.

Wie oft fühlen wir uns doch arm, auch wenn wir alles Notwendige und noch darüber hinaus zum Leben haben. Wir spüren Ohnmacht im Blick auf die Zerrissenheit der Kirche, den Glaubensschwund um uns herum, die Zerrissenheit der Familien, die Spaltungen in Gesellschaft und Politik, besonders in der Corona-Pandemie. All dies zeigt unsere Armut. Haben wir es schon jemals als Chance gesehen, unsere Nichtigkeit vor Gott einzugestehen,  uns dem Vater in die Arme zu werfen und von Ihm zu erwarten, was wir nicht können. Wir möchten so gerne alles im Griff haben. Nun müssen wir erkennen, dass es so nicht ist.

Der Herr, der immer Pläne des Heils hat, ist auch jetzt bei uns, wie Er es versprochen hat. Es ist eine Chance, endlich wieder zu erkennen, dass wir von Gott abhängig sind. Abhängigkeit, das wollen wir auf keinen Fall. Aber Abhängigkeit vom Gott führt zur Freiheit, zur Freude und - wie es der Pfarrer von Ars sagt – zur Heiligkeit und damit gleichsam zur Herrschaft über den Willen Gottes. Ein gewagtes Wort!

Aber Gott ist es, der sich als erster von uns abhängig macht, von unserem Ja in Freiheit zu Seinem heiligen Willen. Und Er wartet, Er wartet manchmal jahrelang, bis Er endlich die mit Sehnsucht und Liebe erwartete Antwort von uns erhält. Er hält aber auch den unvorstellbaren Schmerz, um ein menschliches Wort zu benutzen, aus, wenn ein Mensch sich Ihm verweigert und Ihm ein Nein entgegenschleudert. Ein solcher Gott will uns keinesfalls in die Knechtschaft führen, sondern zu einer Freude in Ihm  und an Ihm in großer Freiheit.

Angesichts dieser Letztperspektive gibt es tatsächlich entweder nur ein Ja oder Nein.

Auf dem Weg dahin gibt es viele Stufen, viele Prüfungen, Verirrungen und Möglichkeiten zur Umkehr. Wenn wir es denn zulassen, wird der Herr uns dabei immer begleiten und uns niemals verurteilen, wenn wir die Sehnsucht nach Ihm in uns wach halten. Hören wir dem Pfr. von Ars auch hier gut zu!
ih 20.01.2022

°Aus: Joseph Vianey, Le Bienheureux Curé d’Ars, Paris, 1923, S.169, übersetzt ih