„Sogar eure Eltern und Geschwister, Verwandten und Freunde werden euch ausliefern und manche von euch wird man töten. Und ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden. Und doch wird euch kein Haar gekrümmt werden. Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen.“ Lk 21, 16ff
„Unser Herr bezeugt seine Liebe immer nur durch Leiden. Es scheint, als ob er sein Ziel ohne diesen Weg nicht erreichen könnte: es ist der einzige, der zum Himmel führt.“°Pfr. von Ars
Als Einladung für eine Nachfolge Christi eignet sich das heutige Evangelium auf den ersten Blick nicht. Von den eigenen Angehörigen wie ein Feind gehasst und dem Tode ausgeliefert werden, ist eine schreckliche Vorstellung. Aber der Herr mutet uns diese Worte zu. Ein Wellness-Christentum, in dem Er nichts von uns verlangt und alles selbst ausgleicht, verspricht Er ganz bestimmt nicht, so wie wir uns das vielleicht insgeheim wünschen.
Aber der Herr verspricht das, wofür es sich zu leben und leiden lohnt: das Leben, das Er selbst ist. In der Tiefe des Herzens hat Gott diese Sehnsucht nach Wahrheit und Leben in Fülle gesenkt. Diese Sehnsucht kann durch vieles zugedeckt werden, auch wenn es an sich nicht schlecht ist, wie zum Beispiel Arbeiten oder Sorge für den Nächsten. Auch darin kann man so aufgehen, dass die Sehnsucht nach dem Absoluten keine innere Unruhe mehr verschafft.
Jean-Marie hat in seiner Kindheit erlebt, dass der eigene Pfarrer im Zuge der Französischen Revolution den Eid auf die kirchenfeindliche Zivilkonstitution von 1791 geleistet und sich damit außerhalb der katholischen Kirche gestellt hat. Von Jean-Marie berichtet Trochu in seiner Biographie, dass er einen Abscheu gegen die Sünde von jenem Tag an gezeigt hat, seit er den geschworenen Pfarrer mied °²
Schon sehr früh war in Jean-Marie ein „Gotteshunger, der die Unrast und zugleich Beglücktheit heiliger Seelen ist“.°³
Zutiefst bleibt es für uns ein Geheimnis, dass der Herr das Kreuzesleiden erdulden musste, um uns den Weg zum Himmel zu öffnen.
„ Sind wir nicht allzu sehr versucht, bei allen Worten der Empörung über das Böse und über das Leid der Unschuldigen das Geheimnis des Bösen zu verharmlosen? Lassen wir vom Bild Gottes und Jesu nicht am Ende doch nur das Sanfte und Liebe stehen, und haben wir nicht das Gericht im Stillen gestrichen? Gott kann doch unsere Schwachheit nicht so tragisch nehmen, denken wir; wir sind ja nur Menschen. Aber am Leiden des Sohnes sehen wir, welchen Ernst die Sünde hat, wie sie ausgelitten werden muss, um überwunden zu werden. Vor der Gestalt des leidenden Herrn endet die Banalisierung des Bösen.“ Diese Worte von Joseph Ratzinger in seinem Kreuzweg 2005 kurz vor seiner Wahl zum Papst sollten uns nachdenklich machen.
Bitten wir den Herrn auf die Fürsprache des Heiligen Pfarrer von Ars um einen Gotteshunger, der sich durch nichts Irdisches ersticken und auch nicht durch unsere eigene Armseligkeit auslöschen lässt. Vom Herrn allein bekommen wir die Kraft, in Seiner Gnade unser Kreuz in Liebe anzunehmen. So sind die Worte des heutigen Evangeliums ein ungeheurer Vertrauensvorschuss des Herrn, der uns für fähig hält, mit Ihm diesen Weg zu gehen.
21.10.2022 ih
° Aus: Jean-Marie Vianney Pfarrer von Ars, hrsg Bernard Nodet 1959, S. 224
°² Francis Trocu, Der Pfarrer von Ars „001, S.21.
°³ ebenda, S. 24
°4 Joseph Ratzinger Benedikt XVI, Der Kreuzweg des Herrn, 2005, S.43