„Vater Abraham, hab Erbarmen mit mir und schick Lazarus; er soll die Spitze seines Fingers ins Wasser tauchen und mir die Zunge kühlen, denn ich leide große Qual in diesem Feuer.“ Lk 16, 24
„Man muss sich auch über die Unterlassungssünden erforschen, aber niemand denkt daran.“ °Pfr. von Ars
Der reiche Mann, der sich in Purpur und feines Leinen kleidete und täglich Feste feierte, wusste, dass er ein Kind Vater Abrahams und auserwählt war. Aber er hatte vergessen, dass dies nicht einfach ein Erbe, sondern auch ein Auftrag war, nämlich zu glauben und zu leben wie der Vater Abraham.
„Wenn ihr Kinder Abrahams wärt, würdet ihr die Werke Abrahams tun“ (Joh8,39), hält der Herr den Juden vor.
Auch Abraham musste ringen, um seine völlige Abhängigkeit vom Erbarmen Gottes zu erkennen und anzunehmen, damit er nicht nur irdischen Reichtum, sondern endlich auch den ersehnten Sohn Isaak erhalten konnte.
Maria war eine echte Tochter Abrahams. Sie jubelte im Magnificat: „Er nimmt sich seines Knechtes Israel an und denkt an sein Erbarmen, dass er unsern Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig“ (Lk 1,54f). Maria sah sich als niedrige Magd und so konnte Gott das Größte in ihr wirken, die Menschwerdung Seines Sohnes.
Aus der Erzählung über den reichen Mann und armen Lazarus kann man sicher nicht ableiten, dass der Herr die Armen den Reichen gegenüber bevorzugt hat. Er kam, um alle zu retten und zu erlösen, ohne Ausnahme, auch die Reichen. Da diese aber im Reichtum geistig blind geworden waren, musste Er in einer härteren Sprache sich an sie richten. Denn die Geschichte ist den Pharisäern zugedacht, die zur reichen Schicht gehörten.
Es gibt ein Zu-spät, so dass das eigentliche Ziel des Lebens, die Herrlichkeit beim Herrn, nicht erreicht wird.
Der Pfarrer von Ars hat erkannt, dass nicht nur die bösen Taten, sondern auch die Unterlassung von guten Werken eine ebenso große Sünde ist. Im Confiteor bekennen wir auch als erstes die Unterlassung von Gutem und erst dann das Tun von Bösem.
Jedes Eigentum ist nicht nur der eigenen Leistung zu verdanken, sondern als erstes dem Herrn, der uns alle Fähigkeiten und Möglichkeiten zum Erwerb von Reichtum schenkt. So ist dies immer auch ein Auftrag, das Erbarmen Gottes, das wir unaufhörlich empfangen, an andere weiterzugeben.
Der reiche Mann hat zuletzt um das Erbarmen seines Vaters Abrahams und den Dienst des armen Lazarus gebettelt. Der Herr möchte alle davor bewahren, in die Situation des Zu-spät zu kommen. Seinem Erbarmen entspringt dieser Text der Mahnung und Warnung.
Der Pfarrer von Ars hat sich vollkommen vom Erbarmen Gottes abhängig gefühlt und im Übermaß materiell und geistig dieses Erbarmen weiter fließen lassen. Er wird uns helfen, dass auch wir wach werden für die Nöte anderer und nach unseren Möglichkeiten das Erbarmen Gottes in dieser Welt erfahrbar machen.
1.09.2022 ih
Aus: Jean-Marie Vianney Pfarrer von Ars, hrsg. Bernard Nodet, 1959, S.199