15. Sonntag im Jahreskreis 13.07.2025 Lesejahr C

„In jener Zeit stand ein Gesetzeslehrer auf, um Jesus auf die Probe zu stellen, und fragte ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?“ Lk 10, 25

„Unsere ganze Religion ist nur falsche Religion, und alle unsere Tugenden sind nur Schein, und wir sind in Gottes Augen nur Heuchler, wenn wir nicht die allumfassende Liebe haben, und zwar für jeden, für die Guten wie für die Bösen, für die Armen wie für die Reichen, für alle, die uns Böses tun wie für alle, die uns Gutes tun.“ °Pfr. von Ars

Ganz schön hinterhältig ist die Frage dieses Gesetzeslehrers an Jesus, offensichtlich um Ihn bloßstellen. Da dies nicht gelingt, will er sich wenigstens rechtfertigen mit der zweiten Frage, wer denn „mein Nächster“ ist.
Es mag wohl für den Gesetzeslehrer schockierend gewesen sein, dass Jesus ausgerechnet einen Samariter als Beispiel zur Nachahmung empfiehlt. Nur dieser hat gewusst, wer sein Nächster ist und entsprechend gehandelt.
Bei Lukas haben wir kurz vorher gehört, dass Jesus in einem Dorf der Samariter Unterkunft wollte. Aber „man nahm ihn nicht auf, weil er auf den Weg nach Jerusalem war.“ (Lk 9,53). Jakobus und Johannes wurden vom Herrn zurechtgewiesen, weil sie Feuer vom Himmel herabrufen wollten. Jesus lässt es einfach geschehen und geht weiter. Menschlich gesehen hatte Jesus durchaus keinen Grund, einen Samariter als Vorbild hinzustellen.
Als Jesus zu den Juden über die Wahrheit spricht, muss Er sich anhören: „Sagen wir nicht mit Recht: Du bist ein Samariter und von einem Dämon besessen (Joh 8,48)?“ Diese Bezeichnung ist der Höhepunkt der Ablehnung Jesu durch die Juden.
Abgelehnt werden – eine furchtbare Erfahrung! Aber trotz der Ablehnung geht Jesus den Weg des Heiles für die Menschen weiter. Im feindlichen Samarien lässt Er sich auf ein langes Gespräch mit der Frau am Jakobsbrunnen ein, um sie hinzuführen zur Anbetung des Vaters im Geist und in der Wahrheit. Durch diese Samariterin kommen auch viele andere zum Glauben an Ihn: „Er ist wirklich der Retter der Welt (Joh 4,42)“.
Und nun stellt Jesus dem Gesetzeslehrer den Samariter als Beispiel vor, der abgelehnt von den Juden der Einzige ist, der Nächstenliebe dem unter die Räuber Gefallenen erweist.
Ist dieser Samariter nicht ein Bild für Jesus selbst, abgelehnt von den Juden, von den Samaritern, unverstanden von Seinen Jüngern? Und doch schenkt nur Er Heilung dem ausgeplünderten und halbtoten Mann, ein Bild für die gefallene Menschheit. Bittet Jesus nicht auf diese Weise auch um Barmherzigkeit für Sich, nicht um Seiner selbst willen, sondern um der Annahme des Heiles für die ganze verwundete Menschheit? Bittet Er nicht auch uns um Barmherzigkeit, wenn wir leiden, enttäuscht sind an so vielen Ereignissen in unserem Leben? Auch wenn wir nichts verstehen, bittet Jesus um Vertrauen in Seine Führung, die eben nicht ohne Kreuz und Leid möglich ist. Genau dann ist Er auch bei uns. Und gerade wenn wir enttäuscht, entsetzt sind über das Böse des Nächsten, will der Herr durch uns weiterhin genau diesem Menschen Gutes schenken.
Der Pfarrer von Ars hat dies in einer fast unnachahmlichen Weise gelebt. Seine Pfarrkinder waren sogar der Ansicht, dass er diejenigen bevorzugt behandelt, die ihm Leid zufügen. Aber so ist das Heil vom Kreuz Christi nach Ars, ganz Frankreich ganz Europa geflossen – bis heute.
Erschrecken wir nicht vor dieser Art der Nachfolge unseres Herrn. Er ist dann ganz eng an unserer Seite. Er wirkt dann in uns, was wir menschlich nicht können. Der Heilige Pfarrer von Ars wird uns helfen, dass auf diese Weise die Liebe Gottes durch uns in dieser Welt ein wenig sichtbar wird.
9.06.2025 ih

Aus: Predigten Briefe Leben des Heiligen Pfarrers von Ars Jean-Baptiste-Marie Vianney, 1959,
S.181